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Wahrer Reichtum

Bismillahirrahmanirrahim


Wahrer Reichtum

 

Sheikh Mehmet Efendi | Berlin,  10.06.2014

 

Unser Weg ist der Weg der Ansprache, der Sohbet.

So fragt Allah, der Allmächtige, in einem heiligen Vers: „Wer sind diejenigen, die im Diesseits den größten Schaden davontragen?“

Er selbst gibt die Antwort:


„Es sind jene, die in dieser Welt von hohem Rang sind, hohe Ämter besetzen, darin jedoch außerhalb der Wahrheit handeln und dennoch denken, sie würden große Dinge vollbringen - die Menschen, die durch diese Positionen in Hochmut verfallen und Arroganz und Stolz entwickeln. Und diejenigen, die sich nicht einmal davor scheuen, sich über die Gesandten des Herrn und über die herab gesandten Botschaften lustig zu machen.“

 

Der Herr bedarf nicht der Taten irgendeines Menschen und sowieso nicht derer, die sich in solch einer schadhaften Weise verhalten. Er ist der Gebende! Weder von den Handlungen der Menschen noch von ihren Diensten hängt es ab, ob Er gibt oder nicht. Ihre guten und schlechten Taten sind dafür keineswegs ein Maßstab.

 

Er ist der Großzügige und der Freigiebige, Er ist der Großzügigste aller Großzügigen!

In Seiner Freigiebigkeit schaut der Herr nicht, ob jemand gut oder schlecht ist. Auch in Seiner Liebe zu den einzelnen Menschen macht Er keinen Unterschied. Die Menschen denken, sie würden das, was sie vom Herrn erhalten, durch sich selbst hervorbringen. Doch genau dieses führt eben zu Hochmut und Stolz – Stolz als Ergebnis ihrer höheren Positionen, Stolz auf ihre Handlungen und darauf, was sie sich erarbeitet haben... oder zumindest glauben, es sich erarbeitet zu haben.

Allah ist der Freigiebige, Er ist der, der gibt!

 

Die Menschen sehen nicht den Gebenden dahinter. Doch wisse, im Zustand des Hochmutes kann man sehr schnell fallen. Schaut auf die Menschen in hohen Ämtern: In einem Augenblick noch oben auf,  im nächsten Moment schon tief gefallen - und anderen werden sie dann zur Last.

 

Die meisten Anhänger der Propheten stammten aus armen Verhältnissen. Eher selten folgten und gesellten sich reiche Menschen zu ihnen. So trug es sich zu, dass der Prophet Shuaib (Friede auf ihn) auch zu den reichen Menschen unter seinem Volk sprach. Doch drohten ihm diese:

 

„Wenn du nicht aufhörst, in solch einer Weise zu uns zu sprechen und nicht wieder zu unserem Glauben zurückfindest, werden wir dich von hier fortjagen.“

 

Der Prophet erwiderte: „Wenn ihr nicht annehmen wollt, was ich euch verkünde, braucht ihr mich nicht fortzujagen - ich werde selbst gehen. Doch werde ich nicht von dem ablassen, was der Herr mir aufträgt zu offenbaren. Denn ich bin Sein Diener und arbeite für Ihn.“

Als die Zeit kam und der Prophet sein Volk verlassen wollte, stellten sich ihm Menschen entgegen und sprachen zu den wenigen Armen, die ihm folgten: „Wenn ihr mit ihm zusammen fort geht, werdet ihr Schaden erleiden! Passt auf!“

Der Prophet Mohammed (Friede und Segen auf ihn) ist der Letztgesandte. Bei den Völkern der vorigen Propheten verhielt es sich wie folgt: Immer, wenn sie ihrem jeweiligen Volk die Offenbarungen des Herrn verkündeten, die Menschen sie aber ablehnten, sich gegen die Propheten stellten und sie sogar verjagten, kam eine Bestrafung auf dieses Volk hernieder. Im Fall des Propheten Shuaib (Friede auf ihn) war es ein großes Erdbeben – das Volk wurde vernichtet. 

 

Der Herr spricht: „Jene, die sich dem Propheten Shuaib (Friede auf ihn) gegenüberstellten, ihn verleumdeten und verjagten, sind an diesem Tag untergegangen.“ Es waren die Reichen aus diesem Volk. Sie befanden sich letztendlich in einem Zustand, als wären sie niemals reich gewesen. Armselig sind sie untergegangen...«

 

Ohnehin hätten diese Menschen nicht auf ewig in dieser Welt gelebt, denn auch sie hat ein Ende. Seitdem sind mehrere tausend Jahre vergangen. Welchen Reichtum sie auch immer besaßen, wir sehen nichts mehr von ihnen, sie sind dahingegangen. Nichts ist mehr von dem geblieben, was sie sich erarbeitet hatten.

Diese Welt ist vergänglich!

 

All diese Beispiele werden im Koran gegeben; weitaus mehr davon könnte man darin nachlesen. „Diese Beispiele“, sagt Allah im Heiligen Buch, „sollen für die Menschen eine Lehre sein.“

 

So sollten wir uns ein Beispiel an den Zuständen dieser Menschen nehmen und schauen, was ihnen ihr Verhalten letztendlich genützt hat.

Wir lesen diese Zeichen und diese Geschehnisse zwar, leider aber nur oberflächlich. Wir versuchen nicht, die dahinter liegende Bedeutung herauszufinden.

 

Im genannten Beispiel wird aufgezeigt, dass die Menschen trotz ihres Reichtums nicht vor dem Unglück, was am Ende auf sie wartete, bewahrt wurden. Wenn wir bezogen auf die damalige Zeit von Reichtum sprechen, so meinen wir tatsächlichen Reichtum; diese Menschen waren reich an materiellem Hab und Gut. Heutzutage betrachten wir Reichtum mit anderen Augen: Jemand, der einige Accessoires mehr an seinem Auto besitzt, hält sich schon für reicher als andere.

 

Wenn nun dieses Gleichnis in Bezug auf Reichtum gegeben wird, verbirgt sich darin natürlich eine Lehre. Was ist wirklich wahrer Reichtum? Lediglich das, was du hier in dieser Welt an Diensten für deinen Herrn verrichtest. Was du in Seinem Namen tust, dein Dienst an Ihm, dein Dienst für Ihn, deine Aufrichtigkeit auf Seinem Weg - das ist am Ende dein Reichtum, wahrhaftig bleibend. Diesen versucht man zu erlangen.

Jedem Menschen, der erschaffen wurde, wird in dieser Welt in einem bestimmten Bereich eine Aufgabe zugeteilt. In dieser Arbeit wird er tätig, sie ist ihm somit vorbestimmt. Es ist nicht angesehen, untätig zu sein, ganz gleich wo du auch arbeitest. Mit deiner Erschaffung hast du auch eine Versorgung erhalten. Doch ist die Ausführung deiner Arbeit nicht der Grund, warum du von deinem Schöpfer versorgt wirst: Eine Versorgung erhältst du sowieso, auch dann, wenn du nicht tätig wärst.

 

Dennoch sagt Sheikh Nazim Efendi, unser Großsheikh: „Seid nicht faul, seid strebsam, arbeitet!“

Weil die dir entsprechende Arbeit in dieser Welt vorherbestimmt und deine Versorgung davon nicht abhängig ist, solltest du in erster Linie darauf schauen, dass du für deinen Herrn arbeitest und Ihm dienst.

 

Leiste deinen weltlichen Dienst mit der Absicht, ihn für deinen Herrn zu tun. Dann wird Er dir dabei Unterstützung zukommen lassen. Auch ein Gebet in Seinem Namen zählt dazu und gibt dir Segen.

 

Die Kraft, die du dafür einsetzt, geht nicht verloren. Sie kommt zu dir zurück und vermehrt sich. Er wird dich darin unterstützen, deinen Glauben zu festigen.

 

Letztendlich wird es dir am Ende einen reinen, segenvollen Verdienst bringen. Dies führt dazu, dass du in deinem Inneren gesäubert und gesegnet bist und von dir reine Gedanken und Taten hervorkommen werden. All das hängt miteinander zusammen.

Warum mag Sheikh Nazim Efendi die faulen, untätigen Menschen nicht?

 

Auch wenn der Mensch nicht arbeitet, nicht tätig ist, immer ist er ein Werkzeug. Doch für wen? Stellst du dich bewusst in den Dienst deines Herrn und arbeitest für Ihn, bist du gesegnet – du bist das Werkzeug deines Schöpfers. Entscheidest du dich jedoch entgegengesetzt und sagst dir: „Ich möchte nicht arbeiten“, stellst du dich Sheytan als Werkzeug zur Verfügung.

 

Faulheit ist wie eine Krankheit: Ist man erst einmal damit infiziert, ist es schwierig, davon wieder geheilt zu werden. 

In erster Linie ist es wichtig, dass die Arbeit gesegnet ist – somit rein und nützlich für dich und für andere Menschen.

Seid nicht wählerisch!

 

Es ist nicht wichtig, welches Ansehen die Arbeit in den Augen der Menschen hat, sondern wie wertvoll sie ist. Man sollte nicht darauf wert legen, dass die Menschen zu einem aufschauen, man sich aufgrund dessen ein großes Ansehen erhofft. Vielmehr sollte man einer nützlichen, nicht strafbaren Arbeit nachgehen. Verrichtet man diesen Dienst und lernt dabei, bescheiden zu sein, beschenkt einen der Herr mit sehr großem Segen und Reichtum.

 

Wir Neuzeit-Sufis, wenn man das so sagen darf, betreten den Sufi-Weg erst einmal ohne Flügel. Doch sind wir meistens darin bestrebt, am Ende dieses Weges Flügel zu erhalten, mit denen wir hinfort fliegen können. So soll an uns ein Wunder sichtbar werden; wir wollen mit Wunderkräften versehen werden.

 

Mit dem Segen der Heiligen, durch ihr Gebet, ist es möglich, eine bestimmte Kraft zu erhalten und zu benutzen. Sie könnten jederzeit ihre wundersame, wundervolle Kraft zeigen. Doch die Heiligen sind bescheiden, in dem, was sie tun. Für sie ist es keine große Sache und auch nicht wichtig, einen Zustand zu erlangen, bei dem man durch Wände laufen kann.

Oder vom siebenten Stock herunterzuspringen anstatt Treppen zu laufen, all das sind leere Dinge - für diese geht man nicht auf diesem Weg.

 

Wir gewöhnlichen Menschen haben zuweilen die Vorstellung, dass ein Heiliger wundersame Dinge zeigen müsste, zu denen wir selbst nicht in der Lage sind. Sie tun das sowieso schon, ohne dass wir das wahrnehmen können.

 

Doch geht unsere Erwartung in die falsche Richtung: Bewusst aus dem Fenster zu springen und unversehrt zu landen, ein Glas von hier nach da zu bewegen, ohne es berühren zu müssen - für die Heiligen ist das Kraftverschwendung, denn es ist nicht notwendig. Sie setzen ihre Kräfte mit ihren Gebeten in die Herzen der Menschen ein. Das ist das Wunder, dass sie vollbringen!

So können sie Menschen mit verschiedenster Ausrichtung und vollkommen unterschiedlichen Charakteren an ein und demselben Ort vereinen und beieinander halten. Das ist ihre größte Kraft, dieses Wunder muss man erkennen! Das ist das wahrhaftige Wunder, ist die wahrhaftige Kraft eines Heiligen! Naqshbandi-Sheiks vollbringen ihre Wunder im Verborgenen, in jedem Augenblick – doch offen führen sie sie nicht vor.

 

Naqshbandi -Sheikhs haben nicht die Absicht, sich zu beweisen. Sowieso gewinnt man nicht die Herzen der Menschen, indem man Wunder zeigt. Denn selbst wenn man jemandem ein Wunder darbietet, dieser aber in seinem Vertrauen oder in seiner Verbindung schwach ist, wird er dahinter alles andere als ein Wunder erkennen. Das bedeutet, dass sich an dem Zustand der Menschen dadurch nichts ändern würde. Im Gegenteil, in gewisser Weise verschließt man diesen Menschen die Türen. 

 

Daher lassen die Heiligen allen Menschen die Tür offen. Sie versammeln die Menschen um sich herum, indem sie sich selbst wie gewöhnliche Menschen verhalten.

 

Wir haben darüber gesprochen, dass die Wunder, die die Propheten zeigten, nicht dazu führten, Menschen in ihrem Glauben zu festigen.

Beispielsweise hat der Prophet Jesus (Friede sei mit ihm) einen Toten zum Leben erweckt, Blinde sehend gemacht und einen Aussätzigen von einer unheilbaren Krankheit geheilt. Seine Gefährten haben dies persönlich miterlebt, stellten letztendlich dennoch die Frage:

„Kann der Herr uns eine Tafel vom Himmel schicken?“ Solch Frage - obwohl sie bereits so viele Wunder gesehen hatten...

Naqshbandi-Sheiks arbeiten nur für ihren Herrn. Daher schauen sie weder auf die Wünsche der Menschen noch sind bedürftig, von ihrem Meister wundersame Dinge von besonderer Kraft vorgeführt zu bekommen oder vielleicht sogar selbst damit versehen zu werden. Nein! Ihre Aufgabe ist es, die Menschen um sich herum auf den richtigen Weg zu leiten.

Wir erzählen eine Geschichte von einem Heiligen der früheren Zeit:


Das Volk dachte, dieser sei taub. Eines Tages beobachtete er eine Spinne, die in einer Ecke ihr Netz baute. Als das Netz fertig war, sah er, wie eine Fliege -in der Annahme, darin etwas Süßes zu finden – hineinflog. Doch sie verfing sich im Netz und begann dabei zu surren. Der Heilige sprach zur Fliege: „In deiner ständigen Gier nach Süßem bist du letztendlich im Netz dieser Spinne gelandet. Und jetzt klagst du und surrst herum.“

 

Jemand, der dem Heiligen nahe saß, sprach ihn verwundert an: „Wir dachten, du wärest taub, doch konntest du soeben hören, wozu nicht einmal wir in der Lage sind: Das Summen dieser Fliege.

 

Der Heilige antwortete: „In den Zeiten, wo die Menschen wussten, dass ich hören kann, kamen sie zu mir und betonten immerfort meine guten Seiten. Allzeit lobten sie mich und sprachen von mir in den höchsten Tönen: „Er ist ein großer Heiliger, ein solch edler Mensch, ein Edelmann. So begann ich, mich taubzustellen. Die Menschen dachten, ich hätte mein Gehör verloren; nach und nach fingen sie an, über meine schlechten Seiten zu reden. Insgeheim hörte ich ihnen zu und bekam so die Möglichkeit, an mir zu arbeiten, mich zu verbessern. Endlich konnte ich mein Ego kennenlernen und auch die schlechten Seiten an mir sehen.

 

So verhält sich das eben mit den wahren Heiligen. Natürlich hören sie, was die Menschen über sie sagen - doch ist es wichtiger für sie, wie der Herr sie betrachtet. Für die Heiligen gibt es nur Ihn!

 

Es bedarf der richtigen Haltung den Menschen gegenüber, ihnen Respekt entgegenzubringen, auch im Bezug darauf, wie sie über einen denken und sagen. Doch sollte man dabei nicht vergessen, wie der Herr über uns denkt.

 

Wie kann es von Bedeutung sein, ob ein anderer gut von dir denkt, wenn dein Herr dich nicht als einen solchen betrachtet?

Der Andere existiert nicht, dein Herr jedoch ist wahrhaftig existent! Das ist das Wichtige, das ist die Essenz dieser Geschichte. Denn am Ende kehren wir zu ihm zurück.

 

Die Menschen des Volkes des Propheten Shuaib (Friede auf ihn), über die wir vorhin erzählten, hatten letztendlich nichts mehr in der Hand: Der Ort mit seinem gesamten Reichtum ist untergegangen, war nach dem Erdbeben eingeebnet, wurde am Ende zu nichts.

Deshalb schauen die Heiligen darauf, was der Herr über sie denkt und wie Er über sie urteilt – das ist wahrer Reichtum, der fortbesteht – denn die Heimkehr ist zurück zu Ihm.

 

Einen wichtigen Ratschlag solltet ihr beherzigen: Ob in Berlin oder wo auch immer ihr euch auf dieser Welt befindet: Seid stets mit eurem Herrn! Er ist überall und Er ist mit denen, die mit Ihm sind.

 

Was es für einen Menschen bedeutet, mit seinem Herrn zu sein, kann man in einem Gleichnis mit einem Magneten ausdrücken: Wie Eisen in sich gefestigt ist, kann ihm nichts etwas anhaben. Dieser Mensch kann andere anziehen, sie rechtleiten - ihnen Nutzen bringen.

Möge der Herr euch segnen und unserem Sheikh ein langes und gesundes Leben geben.

 

Amin.

 

Fatiha.