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Liebe ist launisch

Bismillahirrahmanirrahim


Liebe ist launisch

 

Sheikh Eşref Efendi, Berlin, 22.11.2012

 

Du musst wissen, dass selbst die ewige, absolute und wahrhaftige Liebe immer launisch sein wird. Deshalb ist die Liebe auch so verführerisch, reizvoll und anziehend. Denn anderenfalls wäre sie monoton und langweilig. Was will man schließlich mit einer Liebe, die sich nicht bewegt? Wollt ihr eine langweilige oder eine langweilende Liebe haben?

 

Bismillahirrahmanirrahim: Wir beschweren uns und jammern über die große Spannung in unserem Leben. Wir sind immer verbrannt. „So viel Druck und Spannung Sheikh!“ Ja, aber was willst du denn? Ein Roboterleben und eine Roboterliebe?

Ein Zustand, in dem sich jeder bewegt und auch jeglicher Zustand, in dem du dich gerade befindest, ist von Allah. Die Ursache für deinen konkreten Zustand ist dein Verlangen. Wer nach einer großen Liebe trachtet, der wird auch groß verbrennen.

 

Wir müssen irgendwie versuchen, mit den Launen des Geliebten umzugehen bzw. zurechtzukommen. Allah ist nun einmal launisch, jeder Chef hat seine Launen. Aber wie hat derjenige zu sein, der liebt und nach der Liebe verlangt? Auch launisch? Das ist jetzt die Frage, die sich bisher niemand gestellt hat. Wer nach der Liebe verlangt, muss ergeben sein. Man muss sich dieser Liebe ergeben. Das ist es kurz und bündig.

 

Und worauf bezieht sich die Ergebenheit? Wir müssen den Launen des Geliebten ergeben sein. Aber wir jammern ständig. „Sei nicht so zu uns“, sagen wir zum Geliebten. Und trotzdem behaupten wir zu lieben. Dies ist die exakte Darstellung unseres Verhaltens. Wir behaupten einerseits, den Herrn zu lieben, aber jammern andererseits und wünschen uns ihn so, wie wir ihn haben wollen. Das geht nicht.

Verlangst du nach der Liebe, musst du den Launen des Geliebten ergeben sein. Nur so kann man Frieden erlangen und von der Liebe erleuchtet werden, denn nur diese leuchtet. Wer verliebt ist und geliebt wird leuchtet. Bist du verliebt? „Ja Sheikh!“ Lüge! Denn sonst würdest du leuchten und nicht so ein finsteres Gesicht machen. Aber wenn du nicht leuchtest, dann bist du auch nicht richtig verliebt. Und genau das ist dein Problem.

 

Akzeptiere „ohne wenn und aber“, wie sich der Geliebte dir gegenüber verhält. Wenn er etwas zieht, dann lass es los und wenn er dir etwas entgegenbringt, dann nimm es an. Lass es kommen, lass es gehen. Sag einfach: „Egal wie und was du von mir verlangst: Hauptsache ich mache dich zufrieden!“ Das ist die Bedingung. Aber davon wollen wir nichts wissen. Vielmehr wollen wir nur nehmen ohne zu geben. Wer sind wir denn? Der Herr, der Geliebte, kann ohne unsere Liebe existieren und endlos weiterleben. Ist das wahr? Er hat es ohne uns geschafft und verdankt seine Existenz nicht uns. Unserer Liebe verdankt er gar nichts, aber seiner Liebe verdanken wir alles.

Warum fragst du nicht, wie du dich dankbar erweisen kannst? Seine Liebe ist so groß, aber unsere Dankerweisung ist so klein.

Es war einmal ein Mann, der 500 Jahre lang auf einer einsamen Insel mitten im Ozean gelebt hat. Auf dieser Insel befand sich ein Granatapfelbaum, der dem Mann jeden Tag einen einzigen Apfel als Nahrung schenkte. 500 Jahre lang aß er jeden Tag nur einen Apfel und befand sich ständig in der Niederwerfung, um seinen Herrn zu loben und preisen.

 

Und so sprach er: „Oh Herr, nun diene ich dir seit 500 Jahren. Ich weiß nicht, ob einer der Propheten dir so lange gedient sowie dich gelobt und gepriesen hat. Wer mein Alter erreicht hat, dem ist es vielleicht gelungen. Du hast es mir ermöglicht und dafür danke ich dir. Ich bitte dich darum, meine Seele zu nehmen, während ich in der Niederwerfung bin, so dass ich auch meinem Tod in der richtigen, gottergebenen Position, alle Ehre mache.“

 

Und Gott entsprach seinem Wunsch. Als er wieder in der Niederwerfung war, kam der Todesengel und nahm ihm seine Seele, so dass er starb. Nun stand der Mann vor seinem Herrn und dieser sprach: „Oh meine Engel, nimmt diesen Diener hier von mir mit und bringt ihn ohne wenn und aber, ohne Buchführung oder Gerichtsverfahren, direkt ins Paradies! Mit meiner Barmherzigkeit ins Paradies mit ihm!“

"Oh Herr, stopp! Einen Moment bitte“, entgegnet der Diener seinem Herrn. „Oh Herr, ich habe 500 Jahre lang gedient. Ohne schlechte Gedanken, ohne böse Absichten, ohne Hass, ohne Neid, ohne üble Nachrede, ohne eine schlechte Tat. In vollkommener Hingabe habe ich dir gedient, dich gepriesen und gelobt. Warum bedarf ich deiner Barmherzigkeit? Ich möchte verdient ins Paradies, denn schließlich habe ich 500 Jahre Gottesdienst geleistet.“ Er rühmte sich mit seinem Gottesdienst.

 

Daraufhin sprach Allah: „In Ordnung, öffnen wir das Buch und schauen, was er zurückbezahlt hat. Für welche meiner Geschenke hat er sich bedankt?“

 

Und der Herr machte Buchführung: Durch seine 500 Jahre langen Lobpreisungen sowie Anbetungen ohne schlechte Gedanken und Taten konnte der Mann sich nicht einmal für eines seiner Augenlichter bedanken. Und was ist dann erst mit dem anderen Auge, mit den Ohren, mit dem Laufen, Fühlen etc.? Nicht einmal für ein einziges Augenlicht hat er sich ausreichend bedanken können.

Also dann: Raus aus dem Paradies und rein in die Hölle, denn schließlich hat er sich nicht richtig bedankt. „Halt oh Herr“, rief der Mann. „Ich möchte doch mit deiner Barmherzigkeit ins Paradies!“

 

Warum haben wir diese Geschichte erzählt? Erst wenn man krank ist, weiß man zu schätzen, was man hat beziehungsweise hatte. Nur wessen Leber schlecht funktioniert, weiß um den wahren Wert seiner Leber Bescheid. Sie ist unbezahlbar. Und was ist mit der Milz, dem Herzen, den Armen, Händen, Füßen, Augen, Ohren oder Haaren?

 

Denkt ihr, der Herr weiß nicht, dass wir uns für seine Gaben niemals richtig bedanken können? Glaubt ihr wirklich, dass er auf unsere Dankbarkeit angewiesen ist? Was braucht Allah? Eigentlich benötigt er gar nichts, aber er will, dass wir seine Gaben zu schätzen wissen. Darum geht es, denn schließlich sind all die Geschenke von Allah Schätze. Daher sag: „Allah ich danke dir!“

 

Der Herr ist so groß, wir sind so klein. Er ist so großzügig, wir sind so geizig. Wir sind geizig mit unserer Liebe und Dankbarkeit. Öffne dein Herz und sei freigiebiger. Du willst Liebe? Verlange nicht immer, sondern gib auch etwas. Sei freigiebiger! Warum denkst du nicht an das Geben, sondern nur an das Nehmen? Du willst immer nur nehmen, aber nicht geben. Genau das ist dein Problem.

 

Deshalb sagen wir: „Oh Herr, oh ihr Heiligen, ihr Freunde Gottes, ihr wahren und wahrhaftig Liebenden, gebt uns Beistand. Ihr kennt die Wege der göttlichen Liebe, denn ihr seid sie gegangen und wieder zurückgekommen. Ihr habt für diese Liebe gelitten und zwischen wahrhaftiger und falscher Liebe unterscheiden können. Ihr habt euch für die wahrhaftige Liebe entschieden und kennt die Fallen, Tücken und Verführungen der falschen Lieben. Zeigt und lehrt uns die Wege der wahren Liebe, denn wir brauchen diese Wegweisung!“

Wir sind hier auf Erden, um das falsche vom wahren Leben zu unterscheiden. Zunächst einmal müssen wir die falschen Lieben und Liebeleien erkennen, damit wir nach der wahren Liebe und dem wahren Leben verlangen. Und nur dieses Verlangen nach dem Wahren ist erlaubt und wird erfüllt. Bezüglich alles anderem wirst du betrogen werden und am Ende eine Enttäuschung erleiden.

Es gibt neun Stufen und der Sheikh erzählt dir immer von derjenigen Stufe, auf der du dich befindest. Bist du in der fünften Klasse, erhältst du schließlich auch Unterricht der fünften und nicht der achten Klasse. Und das ist richtig so.

 

Was ist die erste Stufe? Glaube! Sprich: „Allah, ich glaube an dich!“ Und da scheitern wir, denn wir glauben nicht wahrhaftig. Aber der Sheikh empfiehlt es dir dennoch zu sagen, auch wenn du dann diesbezüglich ein Heuchler bist. Allah will dir gerne glauben, dass du ihn liebst und an ihn glaubst. Ist er nicht herrlich, göttlich und liebenswürdig?

 

Sag einfach „La ilahe illallah“, auch wenn du nicht wirklich glaubst. Wirklicher Glaube ist schwer, und Allah hat dafür Verständnis. Auch wenn du kein Verständnis für ihn und die verschiedenen Situationen hast, die er herbeiführt. Er hat Verständnis und möchte deine Lüge gerne als wahr betrachten. Sag daher einfach „La ilahe illallah“, und vielleicht wird aus dieser einen Lüge Wahrheit. Normalerweise macht man aus der Wahrheit eine Lüge, aber vielleicht kann umgekehrt aus dieser einen Lüge etwas Wahres werden. Auch wenn du lügst, hört und fühlt es sich nämlich gut an.

 

Die zweite Stufe besagt, dass du Ehrfurcht und nicht Furcht haben sollst. Dies wollen wir öffnen, damit wir richtig verstehen.

Du sollst nicht Furcht, sondern Ehrfurcht vor Allah haben. Aber was genau ist Ehrfurcht?

 

Angenommen, eine Firma stellt dich ein und dein Chef steht vor dir. Hast du vor ihm nun Ehrfurcht oder nicht? Geht es um deine Existenz in der Firma, begegnest du ihm mit Ehrfurcht. Denn du kannst zu ihm schließlich nicht „Nein“ sagen, oder? Ehrfurcht ist eine Art Respekt. Seinem Chef begegnet man mit etwas zwischen Angst und Respekt. Und das ist Ehrfurcht und ist ganz normal.

Vor deinem Chef, der dir monatlich ein paar Groschen gibt, wovon du dir eigentlich nur ein paar Brötchen kaufen kannst, hast du Ehrfurcht. Aber du hast keine Ehrfurcht vor Allah, der dir das Leben gibt? Das ist Heuchelei!

 

Was ist Aufgabe des Sheikhs? Der Sheikh sorgt dafür, dass alles in deinem Kopf seinen Platz findet, richtig definiert wird und du dein Kopfproblem loswirst. Tu was er dir empfiehlt, denn er ist der größte Arzt und kennt deine Krankheiten. Er gibt dir ein Rezept und du solltest es jede Nacht nehmen, damit es dir gut geht. Du sollst von ihm alles und von allen anderen nichts erwarten. Nur er wird dich nicht enttäuschen, alles andere wird dich enttäuschen.

 

Die Enttäuschung des Lebens rührt daher, dass man von dieser Person etwas erwartet, von jener Person etwas erwartet oder von seiner Vorstellung beziehungsweise seinen Träumen etwas erwartet. Und das enttäuscht.

 

So, jetzt erkenne dich selbst. Du willst göttliche Liebe und das ist die höchste Stufe. Aber auf welcher Stufe stehst du? Auch wenn du selbst nicht darauf kommst, gehst du immer zwischen der ersten und dritten Stufe hin und her. Weder schaffen wir es, in die vierte Stufe aufzusteigen, noch gelingt es uns, die dritte Stufe zu halten. Wir fallen immer wieder herunter und gehen wieder hoch, es geht immer vorwärts und zurück. Das ist unsere Stufe, deine wie meine Stufe.

„Auch deine Stufe Sheikh!“

 

Ja, auch meine Stufe. Ich bin ein niemand und sitze hier nur am Mikrofon.

Wir wollen eine beständige Liebe und nicht eine taumelnde, wankende, schwankende und fallende Liebe. Und wir üben, denn Übung macht den Meister.