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Sei wie ein Jäger

Der Mensch wurde nur für eine sehr kurze Zeit in diese Welt geschickt. Die Lebenszeit des Menschen mag zwar für jeden unendlich erscheinen, aber in Wirklichkeit ist sie vergänglich und nicht unendlich. Aus diesem Grund sind die Menschen unermüdlich darum bemüht, dieses kurze, also vergängliche Leben irgendwie zu verlängern. Alle Forschungen dienen diesem einen Zweck: was kurz ist, zu verlängern!

 

Es scheint so, als ob die materialistisch denkenden Menschen in ihrem Streben, das Kurze zu verlängern, paranoid geworden sind! Ständig zerbrechen sich die Wissenschaftler ihre Köpfe nur über diesen einen Punkt: wie könnte man das Kurze bloß verlängern? Es lang ziehen oder etwas dran hängen?

 

Eigentlich müssten die Wissenschaftler doch am besten wissen, dass Kurz, kurz und Lang, lang ist. Weder kann man das Lange verkürzen noch das Kurze verlängern. Alles ist so, wie es ist. Alles ist eine Sache des Schauens. Wie man die Dinge betrachtet. In Wirklichkeit nämlich gibt es weder kurz noch lang, weder weit noch nah. In Wirklichkeit gibt es nur die Vollkommenheit der Dinge. Alles ist so vollkommen wie es ist.

 

Daher sollte man anerkennen, wie etwas ist und versuchen statt kurz oder lang, ein erfülltes Leben zu führen. Ein richtig erfülltes Leben ist ein leben mit Gleichgewicht. Weder zu kurz noch zu lang!

 

Das Kurze oder das Lange zu verändern heißt, etwas zu etwas machen was es eigentlich nicht wirklich ist. In der Sprache der Chirurgen würde es zum Beispiel heißen: Ästhetische Schönheitsoperation! Normales zu verändern heißt jedoch in Wirklichkeit: ENTSTELLUNG!

 

Manchmal kaufen sich Leute besondere Schuhe mit hohen Absätzen, um größer zu wirken. Damit betrügen sie sich ganz einfach, denn wenn sie ihre Schuhe wieder ausziehen, sind sie immer noch so klein wie vorher. Einmal wurden auch mir solche Schuhe angeboten, aber ich nahm sie nicht an. Warum sollte ich an meiner idealen Körpergröße etwas ändern, sagte ich zu mir. Die Langen müssen sich immer so schön zu mir vorbeugen, um mich zu begrüßen. Warum sollte ich das ändern?

 

Wie dem auch sei. Die Menschen versuchen ihre Lebenszeit so lang wie nur möglich zu verlängern. Sie wissen nicht, dass dies nicht in ihrer Kraft liegt. Denn diese Welt gleicht einem Hotel. Jedes Hotel läuft mit Reservierungen. Die Verweildauer eines Gastes im Hotel wurde entweder im Voraus geplant oder spontan bestimmt. Aber niemand kann in einem Hotel bis in alle Ewigkeit bleiben. Warum nicht? Weil das Hotel dann kein Hotel mehr wäre, sondern ein Zuhause.

 

Diese Welt ist jedoch für keinen Menschen ein wahres Zuhause oder ein Ort der Ewigkeit. Wäre sie es, wo sind dann die ganzen Menschen hin, die einst auf ihr lebten? Weiß es jemand? Hat sie jemand gesehen?

 

„Ja, Sheikh, sie sind alle unter der Erde!” Wenn du es nicht glaubst, dann schaue nach! Na ja, ihre Knochen und ihr Staub sind zwar dort, aber wo sind sie selbst? Versuche doch, sie her zu rufen, falls du denkst, dass sie diese Welt nicht verlassen haben. Mal sehen, ob sie auftauchen werden oder nicht. Der Mensch muss wissen, dass er in Wirklichkeit ein Reisender und diese Welt eine Herberge ist, in der man höchstens drei Tage als Gast bleiben darf. Was passiert danach? Danach wird man begraben.

 

„Madame et Monsieur! Wir bedauern es sehr, aber wir müssen heute unser Hotel räumen. Bitte packen Sie alles zusammen und begeben Sie sich dorthin, wo Sie hin gehören“, heißt es dann. Du kannst dich nicht widersetzen und sagen, „Nein, lasst mich noch weitere drei Tage bleiben.“ „Sehr verehrter Kunde“, werden sie dir daraufhin erklären. „Da dieses Hotel das einzige in der Umgebung ist, ist es ständig voll.Deshalb sind keine Reservationen für vier Tage möglich. Es können höchstens Reservationen für drei Tage oder kürzer gemacht werden. In diesem Hotel bekommt kein Gast eine Sonderbehandlung. Jeder muss nach höchstens drei Tagen gehen, damit von draußen der Nächste kommen kann.“

 

Innerhalb dieser drei Tage muss der Reisende all seine Lebensaufgaben bewältigen. Entweder gelingt es ihm oder nicht. Um erfolgreich durchs Leben zu kommen, sollte man sich daher lieber einen Reiseführer zur Hand nehmen. Dieser kennt die Abkürzungen des Lebens und führt dich lange Strecken innerhalb kürzester Zeit.

 

Die Menschen gehen auf den Mond, heißt es. Wie gelangen sie aber dorthin? Zu Fuß oder fliegend? Würden sie versuchen, dorthin zu laufen, würde ihr Leben dafür nicht ausreichen. Nehmen wir an, dass man mit der Rakete sechs Monate hin und sechs Monate zurück benötigt. Wie viele Kilometer ist der Abstand zwischen Erde und Mond? 1Millionen? 1,5 Millionen? Rechne einmal aus, wie viele Leben man bräuchte, um einen Weg zu laufen, den man mit einer Rakete innerhalb von einem Jahr zurücklegt.

 

O Mensch, verlängere nicht den Weg. Das Leben ist zu kurz für deine Wünsche. Wer sich keinen Reiseführer zu Hilfe nimmt, der gleicht einem Fahrzeug, dessen Motor bereits vor Reiseantritt kaputt gegangen ist und dessen Reifen geplatzt sind. Wie viel Zeit du ihm auch gewähren würdest, sein Weg würde niemals enden. Pech! Für ihn ist kurz lang und lang kurz geworden.

 

Der große Sufi Meister Rumi sagt: „Ein Reisender mit Reiseführer geht einen Weg von zwei hundert Jahren innerhalb von zwei Jahren. Ein Reisender ohne Reiseführer benötigt für einen Weg von zwei Jahren zwei hundert Jahre.“

 

Wenn damals die Menschen auf eine Reise gingen, mieteten sie sich stets einen Reiseführer oder schlossen sich einer Karawane an. Sie gingen niemals alleine auf einen Weg, den sie nicht kannten. Heute jedoch verirren sich die Menschen und werden verwirrt, weil sie aus Stolz nicht akzeptieren, jemand anderem außer sich selbst zu folgen. Nun, früher wussten die Menschen es einfach besser. So heißt es in einem Sprichwort: »Ein Mensch mit Verstand führt eine Karawane über hohe Berge. Ein verwirrter Mensch jedoch verirrt sich sogar auf der flachen Ebene.«

 

Der Mensch muss akzeptieren, dass er nicht Allwissend ist! Wer ohne Führer auf Reise geht, braucht sich gar nicht zu beschweren, falls er auf dem Weg von Banditen oder Schurken überfallen wird. Der kann höchstens ein Lied davon singen, dass er selbst Schuld daran war.

 

Man sollte nicht damit beschäftigt sein, wie man die Zeit verlängern könnte. Denn die Zeit ist stets genau so, wie sie sein soll.

 

Lieber sollte man lernen, wie man am besten mit ihr umgeht. Denn wer mit ihr umzugehen weiß, dem gelingt alles. Nichts und niemand kann jemanden aufhalten, der fähig ist, mit der Zeit richtig umzugehen.

 

Unser Chef, der uns in diese Welt schickte, reservierte uns hier einen Aufenthalt von maximal drei Tagen, damit wir innerhalb dieser Zeit das Wasser des ewigen Lebens finden und davon trinken. Als Waffe hat er uns unseren Verstand mitgegeben, damit wir uns in dem wilden Wald dieser Welt auf beste Weise verteidigen und Beute jagen.

 

In Wirklichkeit nämlich ist diese Welt ein Wald und der Mensch ein Jäger darin. Natürlich ist das Wasser des ewigen Lebens nicht in diesem Wald verborgen. Nein! Die Flüsse der Ewigkeit fließen lediglich in der Göttlichen Gegenwart. Aber umso besser wir in diesem wilden Wald jagen, desto mehr erlangen wir das Recht, in der Göttlichen Gegenwart von den Flüssen der Ewigkeit zu trinken und in den Meeren der Göttlichen Liebe zu schwimmen.

 

Was ist Leben oder Tod? Es bedeutet entweder, dass du in diesem Wald den Weg zum ewigen Wasser findest oder dass du bis in alle Ewigkeit in der Dunkelheit begraben sein wirst. Die Lebenszeit des Menschen in dieser Welt gleicht der Aufenthaltszeit eines Reisenden in einer Herberge und die Lebensweise gleicht der in einem Wald. Unsere Zeit ist eng. Während dieser kurzen Zeit müssen wir uns vor den Gefahren dieses wilden Waldes so gut wie nur möglich schützen und unseren Jagdsack mit wertvoller Beute füllen. Denn unser Chef finanziert dieses Abenteuer nur aus diesem Grund.

 

Jedem Jäger wurden nur so viele Pfeile mitgegeben, wie er auch tragen kann. Entsprechend seiner Tragkraft hat jeder Jäger eine begrenzte Anzahl an Pfeilen in seinem Köcher. Deshalb muss jeder geschossene Pfeil sein Ziel treffen. Andernfalls, bringt dich jeder Fehlschuss in Lebensgefahr. Wenn du schießen willst, musst du dir immer sicher sein, dass du dein Ziel treffen wirst. Mit Spatzen und Wachteln jedoch ist der Jagdsack nicht voll zu bekommen. Deshalb sollte man lieber nach großer Beute Ausschau halten.

 

Die ganze Zeit über haben wir jetzt von der Jagd gesprochen. Denke aber nicht, dass wir von einer gewöhnlichen Jagd sprechen.

 

Nein, dies ist die Jagd nach guten Taten. Sinnbildlich gleicht jeder Mensch einem Jäger und seine Beute sind die guten Taten. Es gilt jeden Tag aufs Neue, der Fährte einer noch besseren Tat nachzugehen und noch wertvollere Beute zu machen. Jede gute Tat muss dem Menschen eine wertvolle Beute sein, die er nach der Jagd voller Stolz seinem Herrn präsentieren kann. Denn der Herr erwartet gerne die Beute seiner Meisterjäger, mit denen er sich rühmen kann.

 

Der Mensch muss jedoch wissen, dass er nicht alleine in diesem Wald ist. Unzählige Raubtiere, giftige Schlangen und Skorpione werden dir nicht die Möglichkeit gewähren, gute Beute zu machen.

 

O Mensch, sei achtsam. Schlafe nicht, damit dir nicht deine Beute aus deinem Sack geklaut wird, während du schläfst. Benutze deinen Verstand. Nimm ihn zu Rat, um die guten Taten zu jagen. Lasse deine Beute nicht zur Beute der wilden Tiere des Waldes werden. Und passe auf, denn das Ego des Menschen gleicht einem Jagdhund, das seinen Anteil an der Beute haben will. Sei auf der Hut, dass am Ende dein Jagdhund nicht die ganze Beute für sich selbst beansprucht.

 

Mit diesem Sinnbild meinen wir, dass du deinem Ego nicht die Chance geben sollst, deine guten Taten sich selbst zuzuschreiben. Falls dein Ego jedoch deine guten Taten für sich selbst beansprucht, dann habe kein Erbarmen und binde ihm sein Maul zu. Denn das Ego kann nur so ausgeschaltet werden, indem man es zum Schweigen bringt.

 

Wir sind Jäger. Wir jagen, um das ewige Leben zu erlangen. Unsere Beute ist jede gute Tat, die uns sowohl im Diesseits als auch im Jenseits nutzen wird. Wir sind Jäger nach guten Taten und unsere wertvollste Beute ist der Dienst am Menschen.

 

Ein Mensch, der seinen Verstand gebraucht und Nützliches für seine Mitmenschen tut, hat sein Ziel genau getroffen. Ein Pfeil dagegen, der aufgrund von Verstandlosigkeit in die Leere geht, bedeutet Verschwendung der Lebensenergie. Pfeile, die du leeren Illusionen hinterher schießt, sind Verschwendungen deines begrenzten Lebens. Solche Pfeile bringen dir weder einen Nutzen im Diesseits noch im Jenseits.

 

Denn dein Herr hat dir nur eine bestimmte Anzahl an Pfeilen mitgegeben und er wird dich zur Rechenschaft ziehen, wofür du sie verwendet hast. „Wo ist die Beute, die ich von dir erwartete“, wird der Herr dich fragen. Vor dieser Frage gibt es kein Entkommen. Denn du kannst vor dem Herrn nicht fliehen. Wohin denn auch? Oder kennst du etwa neben den sechs Himmelsrichtungen noch eine andere. „Wo du dich auch hin wendest, stets wirst du Mich vorfinden“, gebietet der Herr.

 

In der heutigen Zeit sind die Menschen sowohl krank als auch unglücklich. Auch wenn sie keine materielle Not haben, so werden sie doch von ihrer seelischen Not zermürbt. Warum? Weil sie ihre Pfeile im Wald dieser Welt ins Leere schießen und weder sich noch anderen Nutzen bringen. Sie jagen keine Beute und müssen seelisch hungern. Und dieser seelische Hunger macht sie fertig. Und wenn sie einmal etwas treffen, so treffen sie nichts als giftige Tiere. Umso mehr sie jedoch diese giftige Tiere essen, desto mehr vergiften sie ihren Charakter. Daher ähneln viele Menschen giftigen Tieren. Sie beißen zu und vergiften andere.

 

Ein Mensch, der seelisch hungert, kann Tag für Tag weniger auf seinen Beinen stehen und wird von jeglichen Krankheiten befallen. All seine Pfeile sind verschossen. Die Jagdsaison ist für ihn vorbei und seine Lebenszeit ist abgelaufen.

 

O Mensch, wache auf. Verlängere dein kurzes Leben mit guten Taten und verkürze deinen langen und weiten Weg mit einem Wegführer. Nur auf diese Weise wird kurz lang und lang kurz. Sonst kann dir keine Wissenschaft helfen, dein Leben zu verlängern und deinen Weg zu verkürzen. Es liegt an dir!