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Der eingefrorene Verstand

 

Euzubillahiminesseytanirracim

Bismillahirrahmanirrahim

La havle vela kuvvete illabillahil aliyyül aziym

Destur ya Seyyidi. Destur ya Sultan ul Evliya

Gott möge uns mit den Wissenden und Sehenden zusammen sein lassen.

Nicht mit den Unwissenden und Blinden.

Der Wert der Bewanderten, Sehenden und Wissenden ist nicht mit der Waage eines Bazarstandes zu ermessen.

Nein, dafür brauchen wir schon die Waage eines Juweliers.

Das Wertvolle ist empfindlich und deshalb wird es nicht groben Händen übergeben.

Denn wenn du aus Gold bist, muss es schon die Hand eines Juweliers sein, der dich misst, damit dein wahrer Wert in Erscheinung tritt.

Du – Komm hervor!

Aber nicht als du.

Als ER!

In dem Sinne, sein Geheimnis zu bekommen.

Denn jeder Meister gibt seinem Lehrling von seinem eigenen Geheimnis.

Kein Lehrling kann sein Meister sein, das ist nicht möglich, aber er kann so sein wie er.

Das ist möglich.

Die Frage, ob denn der Lehrling imstande ist, selbst ein Meister zu werden, bevor er so wie er geworden ist, ist wichtig.

Doch um das zu verstehen, bedarf es eines weiten Horizonts

Es bedarf eines weiten Horizonts, denn nur wer selbst die Anzeichen von Größe und Begabung in sich trägt, ist in der Lage, die wahren Meister zu erkennen. Und nur ein talentierter Lehrling kennt den Wert seines Meisters und wird sich dementsprechend ihm gegenüber als gehorsam erweisen. Und wenn jemand Gold findet, aber darauf beharrt, dass es ja doch nur ein Stück Blech ist, kommt das entweder daher, weil er blind ist, oder aus einem absurden Fanatismus heraus.

Jeder weiß zwar, was Blindheit ist, aber die wahre Bedeutung des Fanatismus ist nicht jedem bekannt.

 

Die Weisen sagen:

„Fanatismus ist der eingefrorene Verstand.“

Als ich das zum erstenmal vernahm, fragte ich mich:

„Komische Sache, wie kann der Verstand zu Eis werden?“

Und sofort bekam ich von unserem GroßSheikh über den Weg des Herzens die Antwort:

„Mein Sohn, was wunderst du dich?

Gibt es denn etwas in der Schöpfung, außer dem Feuer und der Luft, was nicht zu Eis werden kann?“

Was kann zu Eis werden?

Zum Beispiel Wasser!

Es gibt kein Element, das dieselben Eigenschaften und dasselbe Geheimnis in sich birgt, wie das Wasser.

Die eigentliche Beschaffenheit des Wassers ist es, fließend zu sein.

In Bewegung zu sein, ist seine erste Eigenschaft.

Wenn diese Bewegung aufhört, wird das Wasser trüb und fängt an zu faulen.

Eis ist der gefrorene Zustand von Wasser.

Dies ist aber nicht der Normalzustand.

Wie wir schon sagten, ist es der fließende Zustand.

Die Kälte schließt das Wasser ein und unterbindet das Fließen.

Und es ist nicht mehr möglich von lebendigem Wasser zu sprechen, da es nicht mehr fließt und eingesperrt ist.

Dieses Wasser ist nicht mehr zu gebrauchen, denn es hat seine Empfindsamkeit und Qualität verloren.

Erwarte keinen Nutzen mehr!

Ich wurde für eine Woche in die Schweiz zu einer Berghütte, die in 2000 m Höhe liegt, eingeladen. Das Wasser dort kam direkt aus den Bergen, mit einer Qualität, die einen Toten wieder hätte lebendig machen können.

Doch unser Wasser ist stehendes Wasser, in Plastikflaschen abgefüllt oder in den Leitungsrohren wartend.

Also totes Wasser.

 

Wie soll das Tote dem Toten Leben geben?

Das gleicht künstlichem Atem.

Zu vergleichen mit einem Menschen, der nicht mehr in der Lage ist, selbstständig zu atmen und deshalb an Beatmungsgeräte angeschlossen werden muss.

Dass die heutigen Stadtmenschen sich so roboterhaft, förmlich und herzlos verhalten, kommt von dem, was sie essen und trinken.

Denn „der Charakter eines Menschen wird durch das, was er trinkt und isst, beeinflusst“ sagte der Prophet.

Diese Einflüsse wirken sich auf das Verhalten und das Gesprochene aus.

Nun, kurz und gut, genauso wie das Wasser, das einfriert und damit in seinem Bewegungsraum eingeengt und eingeschlossen ist, friert beim Menschen sein Bewusstsein und sein Verstand durch seine übertriebenen Neigungen und Tendenzen, also seine fanatische Haltung, ein und gerät damit in einen Zustand der Bewegungsunfähigkeit.

Was genau sind diese extremen Neigungen?

Das sind die Wünsche und Begierden des Menschen.

Diese Begierden und Wünsche sind die Elemente, die das Leben zum Leben machen.

Nur die falsche Dosierung dieser Begierden führt dazu, das Normale ins Anormale umzukehren. Wenn sie dich nicht umbringen, machen sie dich verrückt.

Das Beispiel Wasser ist wichtig!

Es hilft dabei, das Problem besser zu verstehen.

Denn der Mensch besitzt Bewusstsein, das in seiner Eigenschaft dem Wasser ähnelt.

Wenn es nicht ständig in Bewegung ist, friert es entweder ein oder fängt an zu faulen.

Die übertriebenen Neigungen sind versteckter Fanatismus und bringen den Verstand zum Gefrieren, sperren das Bewusstsein in einen engen Raum ein, sodass es schließlich bewegungsunfähig und damit erstarrt ist.

Fanatismus bedeutet, nicht über sein eigenes Wissen und die eigenen Wünschen hin-auszugehen. Das Offenkundigste beim Fanatismus ist, alles (andere), was nicht mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen übereinstimmt, zu leugnen.

Warum erzählen wir das alles?

 

Nehmen wir als Beispiel einen Menschen, der sein Leben in Gefangenschaft verbringt und sein Licht nur von einer Kerze bezieht.

Wenn man diesem Menschen nun Freiheit schenkt und ihm die Sonne zeigt, wird er diese Sonne nicht akzeptieren.

Es ist nicht einfach, einem Menschen, der einmal das Kerzenlicht für sich als Sonne (an)genommen hat, soweit zu bringen, dass er die eigentliche Lichtquelle, also die Sonne, akzeptiert.

Das ist ohne Bewusstsein, also Fanatismus.

Es gibt verschiedene Geschmäcke. Bleib bei deinen Vorlieben, aber wenn du zu solch einem Menschen sagst, komm lass uns doch auch mal vom Nektar dieser Blume probieren, würde er sich zu Tode erschrecken.

„Lass sie!

Ihre Herzen sind verschlossen, ihre Augen blind und ihre Ohren taub!“, befiehlt unser Großsheikh und beschreibt uns die Fanatiker auf eine vorzügliche Weise.

Der Fanatismus dieser Menschen ist vergleichbar mit dem sonderbaren Fanatismus, auf Leitungswasser zu verzichten und stattdessen für totes Wasser in Plastikflaschen jede Menge Geld zu bezahlen.

Und warum dies alles?

Weil Leitungswasser nicht gesund ist.

Sie reden dummes Zeug!

Aber das Wasser aus den Plastikflaschen soll gesünder sein?

Und ich frage:

„Was ist denn lebendiger?

Ist Leben Bewegung oder Stillstand?“

Ich kriege keine Antwort.

Denn der Verstand ist bei vielen Menschen eingefroren.

Was bedeutet es für die Gedanken, wenn der Verstand einfriert?

Es ist die Art von Wasser, das fließend zum Flussbett findet und dort in einer bestimmten Form einfriert und dort bleibt.

 

Das bedeutet es!

Wenn das nicht bedeutet, das der Verstand eingefroren ist, was ist es denn sonst?

Der Mensch ist nicht in der Lage diesen Fanatismus, die Situation, in der er sich befindet, selbstständig zu bemerken. Er sucht Hilfe im Außen.

Oh Mensch!

Auf dem Lebensweg ist es sehr oft unumgänglich, die Straßenseite zu wechseln.

Es kommt sehr oft vor, dass der Mensch, um sein Ziel zu erreichen, seinen gewohnten Weg verlässt, die Straße überquert, um dann auf die andere Straßenseite zu gelangen.

Das ist ein Muss, um an sein Ziel zu gelangen.

Wenn du nicht bereit bist, deine Richtung zu ändern, kommst du nicht weiter.

Und hätte dein Weg dich weitergebracht, wärst du schon am Ziel und dein Wunsch hätte sich erfüllt.

Und wenn dem nicht so ist, solltest du die Straßenseite wechseln, auch wenn es eine andere Richtung ist. Woher willst du es schon wissen?

Vielleicht war der Weg, auf dem du dich bewegt hast, der Verkehrte, ohne es zu wissen.

Nein!

Fanatismus ist etwas anderes als Ergebenheit, Treue ist etwas anderes als Abhängigkeit.

Es bedarf eines weiten Blicks, man benötigt hierzu einen ruhigen Scharfsinn, um unterscheiden zu können.

Du musst wissen, dass der Fanatismus, der dir auf dem spirituellen Weg begegnet, schlimmer und gefährlicher ist wie der Fanatismus bei Fußballfans.

Pass auf!

Denn beim Fußball kann es sein, dass du einen auf den Kopf bekommst, doch der geistige Fanatismus bedroht deinen Glauben, heute und morgen.

Heutzutage ist die gesamte Menschheit, ob bewusst oder unbewusst, vom Fanatismus gefangen genommen.

Dass sich die Menschen heute mit Hass begegnen, ist das Ergebnis von Fanatismus

 

Die Feindseligkeit und der Hass, mit dem sich heute Eltern ihren Kindern, Kindern ihren Eltern, Geschwister ihren Geschwistern, der Chef seinen Angestellten, die Angestellten ihrem Chef, das Volk dem Staat, der Staat dem Volk, die Menschen den Menschen, die Staaten den Staaten, die Religiösen den Religiösen begegnen, ist das Ergebnis von fanatischen Empfindungen und Gedanken.

Wenn man sein Gegenüber nicht so akzeptiert, wie es ist, führt das unter den Menschen zu Fanatismus und Feindschaft.
Solange der andere dir nicht den Krieg erklärt, lass ihn doch so sein, wie er ist, was geht’s dich an?
Niemand ist dein Feind, nur weil er nicht so ist wie du oder so denkt wie du.
Diese Einstellung führt unter den Menschen zu Krieg und gegenseitigen Verletzungen.

Fanatismus ist die stärkste Waffe Sheytans (des Satans).
Der Fanatismus wird zum Anlass, dass sich die Menschen gegenseitig verachten und streiten.

Eine Geschichte:
Einst bekam der osmanische Sultan Yavuz Sultan Selim vom König aus dem Iran eine mit Edelsteinen geschmückte Truhe geschenkt.

Die Truhe wurde geöffnet und aus ihr kamen die verschiedensten Edelsteine und wertvolle Stoffe aus Samt und Seide hervor. Doch gleichzeitig verbreitete sich ein Gestank.

Ein furchtbarer Gestank, sodass sich jeder, der dort Anwesenden die Nase zuhielt.
Am Boden der Truhe fanden sie menschliche Exkremente.
Eine Beleidigung des Sultans und gleichzeitig eine Kriegserklärung!

Der osmanische Sultan gab sofort den Befehl, jeder solle sich überlegen, wie man darauf antworten könne.
Doch keiner fand eine angemessene Antwort.

Wie sollte auch die Antwort aussehen, ohne grob und fanatisch zu sein? Der Sultan fand die Antwort selbst.

 

an fertigte eine gleiche Truhe an, gefüllt mit Edelsteinen und kostbaren Stoffen, in der Absicht, diese dem iranischen König zukommen zu lassen.

Der Sultan ließ eine Schachtel mit sehr seltenem Rosenlokum (türk.Delight) anfertigen und tat noch einen kleinen Notizzettel hinzu.

Als die Truhe vom iranischen König geöffnet wurde, verbreitete sich ein herrlicher Duft, der immer intensiver wurde, umso mehr diese Truhe geleert wurde.
Bis er am Boden dieser Truhe die Schachtel mit dem Rosenlokum fand.

Natürlich verstand er den Sinn nicht.
So ließ er zuerst den osmanischen Botschafter vorkosten, anschließend ließ er die dort Anwesenden probieren.
Schließlich fand er auch den Notizzettel.
Und er las eine Antwort, die weit entfernt vom Fanatismus war und gleichzeitig eine Lehre für sich herausziehend:

„Jeder bietet seinem Gegenüber das an, was er selbst zu essen pflegt.“

Oh, ihr Menschen!
Befreit euren Geist aus der Gefangenschaft und dem Kerzenlicht und setzt euren Geist der Sonne aus.

Wisset, dort wo die Sonne nicht hinkommt, ist es dunkel und kalt.
Passt auf, das euer Verstand durch der Kälte der Dunkelheit nicht erfriert.
Denn sonst wird bald ein solch heißer Wind wehen, der all die zu Eis erfrorenen Geister zum Schmelzen bringen wird.

Das reicht, welch ein Glück für den, der es verstanden hat.