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Schweig und lausche!

Bismillahirrahmanirrahim


Schweig und lausche!

 

Sheikh Eşref Efendi, Medina,  29.07.2014

 

Wann immer wir bei unserem Großsheikh auf Zypern waren nutzten wir jede Sekunde, jede Minute, um in seiner Nähe zu sein; stets darauf wartend, ob er etwas sagt.

 

Auch Bauern und Hirten sprachen bei ihm vor, erzählten von ihren Schafen. Wir schauten darauf, wie sich unser Großsheikh dazu verhält. Denn jedes seiner Worte hat unbeschreiblichen Wert! So ist es möglich, dass du darin einen Ozean voll der Schätze entdeckst. Auf diese Weise sind wir zu unserem Reichtum gelangt.

 

Wurden seiner Zeit dem Propheten Mohammed (Friede und Segen auf ihn) die Haare geschnitten, hat keines davon den Boden berührt - die dabei anwesenden Gefährten haben davon genommen. Und wenn bereits ein Haar so wertvoll ist – wie sehr dann erst sein Wort?

Ich sage euch mal ein Geheimnis, was ich manchmal über euch denke. Nehmen wir als Beispiel ‚Sufiland‘: Wir sitzen zusammen in einer Ecke oder unterhalten uns beim Frühstück. Doch anstatt still zu sein und zuzuhören, dass Ohr beim Sheikh zu haben, reden die meisten untereinander weiter in ihrem stetigen Blablabla. Doch gerade diese Zweier- und Dreiergespräche mit dem Sheikh enthalten wertvolle Wörter mit sehr viel Weisheit. Aus ihnen entstehen oftmals Sohbets.

 

In unseren Ansprachen freitags und samstags reden wir vom Ozean, mit seinen Perlen darin, dass man sehr tief nach ihnen tauchen muss und so fort. Doch genau in solch sehr persönlich wirkenden Gesprächen mit dem Sheikh, im engsten Kreis, zu zweit oder zu dritt, musst du stumm sein und Ohren wie ein Elefant haben! Währenddessen ich dort sitze und rede, bin ich dennoch mit dem Herzen bei euch und denke: Was für Trottel, warum hört er nicht zu...

 

»Aber Sheikh, man traut sich nicht hinzuhören, hat Angst, dass man stört.«

Du sollst ja nicht stören! Du sollst lauschen und dabei anständig sein und dir wünschen, etwas zu hören. Überall ist es Sünde zu lauschen, aber gerade hier ist es erlaubt. Lausche! Lausche!

 

Wir haben alle im Alltag die gleichen Probleme. Wünscht eine Frau oder ein Mann ein Privatgespräch, dann aus dem Grund, dass er oder sie es ‚privat‘ haben möchten – nicht für andere Ohren bestimmt; vielleicht schämen sie sich vor den Anderen. Ich aber möchte, dass alle zuhören! Wenn dieses Problem morgen auf dich wartet, dann musst ja auch du die Antwort kennen. Es geht nicht um seine oder ihre dreckige Wäsche, sondern um die von uns allen. So werfen wir hier alles zusammen in die Waschmaschine - das ist ein Abwasch und spart Zeit.

 

Deshalb müsst ihr Ohr sein! Manchmal ist es hier so laut, dass wir unsere eigene Stimme nicht hören. Aha, es gibt also Wichtigeres...

Der Sheikh spricht, doch alle anderen rundherum sind meistens abgelenkt:
»Ah, der und der... und was ist denn aus ihm geworden?«


Die Unterhaltung vorn mit dem Sheikh - das Wertvolle -wird nicht geschätzt. Was hat Trudi denn Wertvolleres zu geben?

Der Sheikh ist der Ozean - Trudi ist die Badewanne. Aber sie möchte aus der Badewanne heraus und in den Ozean hinein. Ja dann musst du schwimmen lernen, Trudi!


Oder besser: Fang erst einmal an zu planschen!

Ein hier anwesender Bruder versteckt sich vor mir seitdem wir hier sind. Ich mache Späßchen mit ihm, er nimmt das im Spaß an. Auch andere denken, es sei Spaß. Doch in einem Spaß vom Sheikh verbirgt sich stets Weisheit.

Und wenn du nun schon mit deinem Sheikh bist, dann versuch alles zu nehmen. Sag nicht: »Ich brauch nicht mehr. Ich bin doch sowieso schon Tag und Nacht mit dem Sheikh zusammen.«
Nein, versuch alles zu nehmen!

 

Schams-e Tabrizi, der Meister von Mevlana Rumi, stellte ihm eine Frage:
»Oh Rumi, wer ist ‚größer‘, der Prophet Mohammed (Friede und Segen auf ihn) oder Sheikh Abu Yazid al Bistami?« Er ist der sechste Großsheikh unserer Goldenen Kette (möge Allah sein Geheimnis heiligen).


Rumi antwortete: »Natürlich der Prophet Mohammed.« (Friede und Segen auf ihn)

Schams-e Tabrizi erklärte: »Nun, Abu Yazid al Bistami rief zum Herrn: Oh Allah, es ist genug. Ich bin so betrunken vom Wissen, es reicht. Mehr kann ich nicht aufnehmen, ich bin randvoll. Doch der Prophet wollte mehr: »Oh Allah, gib mir mehr, es reicht mir noch nicht!«

Sheikh Abu Yazid al Bistami’s Kapazität zu erfassen war erschöpft - bildlich gesehen wie ein Glas, das randvoll ist. Doch unser Prophet (Friede und Segen auf ihn) hat solch eine Größe: Sein Glas wird niemals gefüllt sein! Ein Glas ohne Boden – du kannst es füllen und füllen, unendlich... Dementsprechend sollen wir als Schüler niemals sagen »Es ist genug.«

 

Es geht um die Aufrichtigen - auch innerhalb der Gemeinschaft. Wer sind die Aufrichtigen?

Schon vor zwanzig Jahren hat unser Großsheikh gesagt: »Es geht um Qualität, nicht um Quantität. In der ersten Versammlung werden fünfhundert Menschen zusammenkommen, in der zweiten fünfzig, in der dritten sind es nur noch fünf.

 

Und genau die will ich haben, weil sie sind aufrichtig, sind immer da, sie sind die Perlen. Die anderen schnuppern einfach mal rein und schauen, was so los ist und gehen wieder.« Dennoch sind sie willkommen und will-gegangen.

Heh, neues Deutsch! Will-kommen sein - Will gegangen sein. So, jetzt sitzt es...

Sag niemals: Es ist genug!

 

Seit sieben, acht Jahren habe ich das von meinem Bruder hier nicht abverlangt, doch ist es jetzt an der Zeit. Wir lassen unseren Schülern die Zeit, so dass sie von sich heraus Einsichten bekommen, sich selbst entwickeln können. Denn wir sind ja feinstofflich, nicht grobstofflich, sind höflich zu ihnen. Würden wir alles vorsagen: Wie weit kämest du mit deinem eigenen Verstand? Du musst lernen, für dich selbst entscheiden zu können und Verantwortung zu tragen. Bis dahin zeige ich dir den Weg – doch musst du dich währenddessen darin trainieren, was dafür zu tun ist.

Was machst du freitags?
»Nichts, Sheikh.«


Das ist gut, antworte ich. Und Samstag?
»Ich passe auf meine Hühner auf.«

Na dann pass mal gut auf dein Hühnerauge auf, damit ich nicht drauftrete. Freitag und Samstag könntest du unseren Livestream schauen und zuhören. Verfolgt ein Schüler nicht, was der Sheikh Freitag- und Samstagabend zu erzählen hat, dann könnte man das so interpretieren, dass er kein wahrhaftiger Schüler sei. Denn jener würde jeden Augenblick nutzen, etwas vom Sheikh aufzufangen und somit eine Weisheit zu erfahren. Sehnsuchtsvoll würde er auf diese Stunde warten!

 

Ist man nun aber der Annahme, schon selbst etwas geben zu können, das dann auch noch ausreichend für die Menschen um einen herum wäre, befindet man sich auf dem falschen Weg: Der Weg zu Eitelkeit und Überheblichkeit - zu Sheytan. So fein spielt dieser mit uns. Zum Teufel mit dir! Estagfirullah, das ist ein gefährlicher Weg! Wir müssen schon sehr, sehr achtsam unserem Ego gegenüber sein. Fallen wir doch sonst ihm und Sheytan zum Opfer.

 

Das ist Unachtsamkeit, ist nicht deine Absicht. Du denkst sogar schon von dir, du wärest ein Sheikh und bereits zu diesem und jenem in der Lage. Nach und nach, ganz heimlich, wirst du in eine andere Richtung geführt. Du hast keine Ahnung davon, denn du machst das ja nicht freiwillig, nicht mit Absicht. In diesem Sinne bist du unschuldig; doch schuldig, weil du nicht achtsam bist.

Deshalb sagt Allah: »Sei in jedem Moment achtsam! Schlafe nie!«

 

Lasst uns versammeln, damit wir vielleicht ein Stück Wahrheit mehr erfahren können. Deshalb muss man immer wieder versuchen, die Muschel zu öffnen, so dass man vielleicht eine Perle aus ihr erhalten kann.

»Aber der Sheikh erzählt immer das Gleiche«, denkst du.
Ja, ist dem so?

 

Eine Perle unterscheidet sich stets von der anderen, ist nie identisch. Du isst auch nicht jeden Tag das gleiche Brot - aber du isst Brot. Auch wenn das gleiche Brot namentlich gleich ist. Ich esse Weltmeisterbrot, jeden Tag. Doch ist es nie das gleiche Weltmeisterbrot. Und jeden Tag wirst du aufs Neue satt; erneut hungrig und erneut satt.

Ihr müsst aufpassen, dass wir hier zusammen aufwachen!

 

Ich möchte für euch, dass ihr diese Sohbet-Zeiten nicht verpasst. Opfert diese eine Stunde Zeit, eine Stunde eures Egos für eure spirituelle Seite, so dass die Verbindung nicht abbricht, ihr immer angeschlossen seid.

Ihr habt ja in ‚Sufiland‘ samstagabends sowieso ein Zusammentreffen, wann beginnt das?
»Um 19.30 Uhr, Sheikh.«


Das ist gut! Wir fangen um Neun an. Dann mach du erst deine Sohbet. Verteile deine Juwelen, Diamanten, Brillanten, und schalte dann unsere Sohbet an!

 

Schaut den blauen Stein an meinem Ring. Ein Diamant gibt dir keine spirituelle Kraft oder Wirkung, doch solch ein Stein schon. Er öffnet das Herz und bringt Erweiterung. Ein Diamant jedoch, was bringt er dir? Erschwernis! »Ich darf ihn nicht verlieren, sonst bin ich arm dran.«

 

Fatiha.

 

»Sheikh, welcher Stein öffnet den Verstand?«

Einstein!


»Sheikh, Sie halten Sohbet und ich höre. Aber ich verstehe es nicht und sollte ich es doch verstanden haben, vergesse ich es gleich wieder.«

 

Was fühlst du dabei, wenn du mit uns zusammen bist und zuhörst? Liebe, Wärme?
»Es fühlt sich gut und richtig an.«

 

Das ist es! Du brauchst keinen Verstand, den hab ja ich.
»Aber Sie sagten, der Schüler muss dafür etwas tun, muss trainieren.«
Mitdenken! Du musst das jetzt hier metaphorisch verstehen.
»Aber ich versteh ja nicht, Sheikh.«

 

Dann bleib bei deinem Sheikh! Ich gebe den Weg vor, sage dir, wie du handeln solltest. Dann brauchst du nicht zu überlegen. Ich habe jetzt für euch mitgedacht.

 

Also, sei ganz Ohr. Sei mit deinem Herzen, Gehör und Augen bei deinem Sheikh. Dann brauchst du keinen Verstand.

»Ich hab ja auch keinen, Sheikh.«

Das ist die Realität. Ich auch nicht.

 

»Sheikh, Sie sprechen von ‚Minus mal Minus ist plus‘ und fragen anschließend, ob ich verstanden hätte. Wenn nicht, solle ich zu Hause darüber nachdenken. Aber das bringt auch nichts.«

 

Was wir an Verstand bekommen haben, ist nur ein Strahl der Sonne. Wir besitzen keinen vollkommenen Verstand, nur einen ganz kleinen, einen Atomgrößen-Verstand. Doch mit ihm haben wir es geschafft, Atombomben zu bauen, dieser Welt mit Nuklearenergie Licht zu geben. Was aber wäre, wenn wir den vollkommenen Verstand hätten? Wir würden mit den Galaxien, mit dem Universum spielen, sie um den Finger wickeln und mit ihnen jonglieren.

 

Der Prophet Seyyidina Mohammed (Friede und Segen auf ihn) sagt: »Als erstes hat der Herr mein Licht, meinen Verstand, erschaffen.«

Von diesem Licht erreicht euch nur dieser kleine Sonnenstrahl in der Größe eines Atoms. Dennoch lebt ihr. Ihr alle denkt, ihr wäret Einstein, weil ihr irdischen Verstand habt. Doch keinen himmlischen Verstand! Mit irdischem Verstand kommst du nicht weit.

Benutze den Verstand deines Sheikhs, dann hast du Ruhe. Das zuzugeben, das ist Tugend: »Ich hab keinen Verstand, Sheikh, ich kann nicht denken, denk und sprich du für mich.«

 

Warum hast du keinen Verstand? Weil dein Gefühl mit deinem Verstand verbunden ist. Und wenn sich das Gefühl in deinen Verstand einmischt, dann...

 

Solange wir unsere Gefühle nicht beherrschen können, nicht unter Kontrolle haben, nicht Herr unserer Gefühle sind, haben wir keinen Verstand.

 

Klar und deutlich, tamam?

 

Fatiha.